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Antisemitismus


Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs häuften sich in Deutschland antisemitische Aktivitäten. Die Juden, die weniger als ein Prozent der Bevölkerung im Deutschen Reich ausmachten, waren in den ersten Nachkriegsjahren die Sündenböcke für all das, was einen Großteil der Deutschen traumatisierte: Revolution, Inflation, Parlamentarismus. Die antisemitische Propaganda stützte sich dabei vornehmlich auf den aus dem Kaiserreich übernommenen völkischen Rassegedanken. Gängige stereotype Beschreibungen skizzierten die Juden als Träger negativer Rassen- und Charaktereigenschaften. Gekennzeichnet war der Antisemitismus von einer hemmungslosen Hetze gegen demokratische und linke Politiker der als "verjudet" geltenden Weimarer Republik.

Die jüdische Bevölkerung hatte im Krieg ebenso viele Gefallene zu beklagen, wie es in vergleichbaren sozialen Schichten der christlichen Konfessionen der Fall war. Ab Herbst 1918 erschienen jedoch zahlreiche deutsch-völkische Flugblätter, in denen behauptet wurde, die Juden hätten sich während des Kriegs um den Kampf an der Front gedrückt und sich statt dessen durch allerlei dubiose Geschäfte schamlos bereichert. An der Legende, die Juden trügen eine Hauptschuld an der Niederlage der "im Feld unbesiegten kaiserlichen Armee", wurde mit der Dolchstoßlegende auch in späteren Jahren weiter gestrickt.

Mit Auflistungen jüdischer Kriegsteilnehmer und Empfängern hoher militärischer Auszeichnungen versuchte der im Februar 1919 gegründete "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" zumeist vergeblich, den manipulativen Vorwürfen der "jüdischen Drückebergerei" entgegenzutreten. Die tiefgreifende Umbruchphase nach dem Krieg begünstigte vielmehr Vorstellungen des einflußreichen Alldeutschen Verbands, der nach eigenen Angaben Juden als "Blitzableiter für alles Unrecht" zu benutzen gedachte. Antisemitische und völkische Gruppierungen wie die Thule-Gesellschaft oder der "Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund" mit über 200.000 Mitgliedern nahmen nach dem Ersten Weltkrieg an Zahl und Mitgliederstärke rasch zu.

Vor allem aus dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum rekrutierten antisemitische Organisationen ihre Mitglieder und Anhänger. Die Angst vor vermeintlich überlegener jüdischer Konkurrenz verfestigte besonders bei Kleinhändlern, Ärzten und Anwälten eine intensive Judenfeindschaft. Ihrem Haß gegen die Weimarer "Judenrepublik" ließen sie freien Lauf. So wird die einst stolze und kämpferische Germania als willfährige Person dargestellt, der es gleich ist, was um sie herum geschieht. Sie nimmt die Fesseln des Versailler Vertrags ebensowenig wahr wie das zerbrochene Schwert und die am Boden liegende Krone. Unbeachtet von ihr reibt sich der den westlichen Kapitalismus darstellende assimilierte Jude zufrieden die Hände, während sich die durch Bart und Hut als Ostjude erkennbare Figur bereichert. Auf zahlreichen Bildern als "Schieber" und "Kriegsgewinnler" karikiert, waren vor allem ostjüdische Zuwanderer in den ersten Nachkriegsjahren Objekte antisemitischer Propaganda in Deutschland und Österreich. In ihrem fremdartigen Erscheinungsbild entsprachen die orthodoxen osteuropäischen Juden weitaus mehr dem traditionellen jüdischen Klischeebild als die größtenteils assimilierten deutschen. Nach Kriegsende gehörte es zu den gängigen Forderungen nationaler Kreise, die Einwanderung weiterer Ostjuden nach Deutschland zu verhindern, da sie gleichermßen für die wirtschaftliche Not und die revolutionären Erschütterungen verantwortlich gemacht wurden.

Für die rechte Agitation war es nach Kriegsende nicht schwer, mit Rosa Luxemburg und Karl Radek ostjüdische Revolutionäre als "Sendboten des jüdischen Bolschewismus" vorzuweisen, die "dauernd die Massen zum Klassenkampf und Bürgerkrieg" aufriefen. Die Juden galten als Trägergruppe revolutionärer Unruhen schlechthin. Unterstützung fand die verbreitete These einer jüdisch-bolschewistischen Revolution in ihrem Erscheinungsbild stark jüdisch geprägten Münchner Räterepublik. Auch die Weimarer Republik galt als von Grund auf jüdisch. Ihre führenden Repräsentanten wurden als "jüdische Novemberverbrecher" diffamiert, die dem internationalem Judentum und dem westlichen Kapitalismus in die Hände spielten. Ein Opfer solcher Propaganda wurde im August 1921 der katholische "Judengenosse" Matthias Erzberger, der als Unterzeichner des Waffenstillstands am 11. November 1918 wie kaum ein zweiter Politiker gehaßt wurde. Geradezu als Provokation und nationale Schmach empfanden viele Deutsche die Einsetzung des ersten jüdischen Reichsaußenministers Walther Rathenau im Februar 1922. Dem vielgesungenen Vers "Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau" ließ die rechtsextreme Organisation Consul (OC) mit der Ermordung Rathenaus im Sommer 1922 Taten folgen. Der jüdische Sozialist Maximilian Harden, Herausgeber der politischen Wochenzeitschrift "Die Zukunft", überlebte kurze Zeit später schwerverletzt ein Attentat.

Gelenkt wurden die antisemitischen Aktivitäten von "vaterländischen" Politikern, die mit den demokratischen Reformen vom Herbst 1918 einen Teil ihrer Privilegien verloren hatten und nun im Kampf gegen Republik und Demokratie bedenkenlos antisemitische Vorurteile schürten. So verpflichtete ein 1920 im Parteiprogramm neu aufgenommener Passus die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) zum Kampf gegen die "Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit". In München ging im Februar 1920 aus der völkisch-antisemitischen Deutschen Arbeiterpartei (DAP) die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hervor, dessen "Führer" Adolf Hitler von einem rohen Sozialdarwinismus und einem rassistischen Weltbild geprägt war.

Gegen den grassierenden Antisemitismus, wie ihn beispielsweise auch Dietrich Eckart in seiner Wochenschrift "Auf gut deutsch" verbreitete, wurde von Regierungsseite zu wenig getan. Immer wieder wurden zur Niederschlagung linker Aufstandsversuche Freikorps eingesetzt, die sich offen zum Antisemitismus bekannten. Bei der Abwehr von Antisemitismus waren die jüdischen Organisationen wie der "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" oder der überkonfessionelle "Verein zur Abwehr des Antisemitismus" weitgehend auf sich selbst gestellt. Der Vorsitz des "Vereins zur Abwehr des Antisemitismus" fiel 1921 mit Georg Gothein auf einen führenden Politiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Von nationalen Politikern als "Judenpartei" verhetzt, trat die von vielen Juden gewählte und vertretene DDP als nahezu einzige Partei in Deutschland dem Antisemitismus entschieden entgegen.

Projüdische Verbände oder Zeitungen wie die "Freie Meinung", deren Leitartikel in scharfer Form antisemitische Tendenzen angriffen, stießen in der Weimarer Republik auf wenig Resonanz. Eine antisemitische Publizistik ergoß sich in Form von mehreren hundert Zeitschriften, Broschüren und Büchern über das Deutsche Reich. Mit Inbrunst beteiligte sich der 1923 von Julius Streicher gegründete "Stürmer" an judenfeindlichen Kampagnen. Hohe Auflagen erreichte das antisemitische Hetzblatt vorzugweise durch Skandalgeschichten mit sexuellem Hintergrund. In nahezu jeder Ausgabe berichtete die Wochenzeitschrift ausführlich über Vergewaltigungen, Mädchenhandel und andere Verbrechen, die Juden angelastet wurden.

Vor allem das "verjudete Berlin", in dem etwa ein Drittel der Juden in Deutschland lebten, galt als "Pestbeule des Reiches", wo eine avantgardistische Kunst und Kultur blühte, die von der konservativen Kultur- und Modernitätskritik als undeutsch, dekadent und "typisches Judenprodukt" bewertet wurde. Größte Aufmerksamkeit erregte dabei vor allem der "zersetzende Intellektualismus" jüdischer Schriftsteller wie Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Erich Mühsam, Ernst Toller und Alfred Döblin. Verdammt wurden jüdische Maler wie Max Liebermann und John Heartfield oder Regisseure wie Max Reinhardt und Ernst Lubitsch. Als Maßnahme gegen die als "entartet" angeprangerten Kulturbeiträge gründete der Nationalsozialist Alfred Rosenberg, der sich zu Beginn der 20er Jahre mit den antisemitischen Schriften "Die Spur der Juden im Wandel der Zeit" und "Das Verbrechen der Freimaurer" einen Ruf in der völkischen Szene erworben hatte, 1929 den "Kampfbund für deutsche Kultur".

Durch Vermittlung von Alfred Rosenberg und Dietrich Eckart hatte Adolf Hitler zu Beginn seiner politischen Laufbahn die bedeutendsten Schriften rassistisch-antisemitischer Literatur wie "Die Sünde wider das Blut" von Artur Dinter (1876-1948) kennengelernt. Mit pornographischem Einschlag beschrieb der 1917 erschienene Roman die abnormale Sexualität eines Juden, des systematisch "unberührte blonde Jungfrauen" schwängerte. Die populäre Hetzschrift Dinters trug bei Teilen der deutschen Bevölkerung entschieden zur Vertiefung antisemitischer Angstvorstellungen vor "Bastardisierung" und systematischer Zersetzung der "arischen Rasse" bei. Die Legende der jüdischen Weltverschwörung verbreiteten die "Protokolle der Weisen von Zion" wie keine zweite Schrift. Die ersten 120.000 Exemplare waren 1919 binnen kurzer Zeit vergriffen. Bis 1933 erschien die Schrift - gefälschte Versammlungsprotokolle von jüdischen Kongressen über angebliche Pläne zur Eroberung der Weltherrschaft - in 33 Auflagen. Durch die hohe Zahl von Ausgaben auch in zahlreichen anderen Ländern wurden die Protokolle zu einer der weitverbreitetsten und einflußreichsten Schrift des modernen Antisemitismus.

Die Kernaussagen der "Protokolle der Weisen von Zion" und "Die Sünde wider das Blut" verarbeitete Hitler 1924 ausführlich in "Mein Kampf". Er systematisierte darin seine Theorien von Antibolschewismus, Sozialdarwinismus und vom "Lebensraum". Den Kampf gegen die "jüdische Weltdiktatur" stellte Hitler in das Zentrum seiner politischen Mission. Seine Vorstellungen von der Bekämpfung der Juden, die er als "Maden im faulenden Leibe", "Pestilenz" und "Blutegel" titulierte, griff Hitler in radikalisierter Form im Ende 1926 erschienenen zweiten Band von "Mein Kampf" auf.

In der Parteipropaganda und auf Wahlkundgebungen der NSDAP spielte der Antisemitismus zu Beginn der 30er Jahre hingegen kaum eine Rolle. Die ohnehin an judenfeindliche Parolen gewöhnten Wähler suchten in Zeiten der Präsidialkabinette, der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit vielmehr Auswege aus der politischen und ökonomischen Krise. Im Schatten der Zunahme politischen Straßengewalt häuften sich ab 1930 aber die Übergriffe der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) auf jüdische Geschäfte und Bürger. Am Abend des jüdischen Neujahrsfests kam es am 12. September 1931 auf dem Berliner Kurfürstendamm zu schweren antisemitischen Krawallen. Laut Polizeibericht waren es an die 500 SA-Leute, die unter Sprechchören "Deutschland erwache - Juda verrecke" Gewalt gegen zufällig angetroffene Juden oder jüdisch aussehende Passanten verübten. Kampagnen gegen dieses Gewaltniveau verhallten zumeist ergebnislos. Zwar hatte sich bereits im Vorfeld der Reichstagswahl vom 14. September 1930 die "Liga für Menschenrechte" herausgefordert gefühlt, einen von zahlreichen Künstlern, Schriftstellern und Politikern unterzeichneten Aufruf gegen die "Kulturschande des Antisemitismus" zu organisieren. In einer nicht abreißenden Kette wechselseitiger und häufig tödlich endender Überfälle von SA und Rotem Frontkämpferbund (RFB) wurde judenfeindliche Gewalt von der Öffentlichkeit allerdings als bloße Randerscheinung wahrgenommen. Auch eine Serie nationalsozialistischer Terroranschläge gegen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen änderte daran wenig. Für die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich waren diese antisemitischen Gewaltakte hingegen der Auftakt für jene Verbrechen und Diskriminierungen, die sie schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten durch das NS-Regime erfahren mußten.

 

 

Antisemitismus


Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs häuften sich in Deutschland antisemitische Aktivitäten. Die Juden, die weniger als ein Prozent der Bevölkerung im Deutschen Reich ausmachten, waren in den ersten Nachkriegsjahren die Sündenböcke für all das, was einen Großteil der Deutschen traumatisierte: Revolution, Inflation, Parlamentarismus. Die antisemitische Propaganda stützte sich dabei vornehmlich auf den aus dem Kaiserreich übernommenen völkischen Rassegedanken. Gängige stereotype Beschreibungen skizzierten die Juden als Träger negativer Rassen- und Charaktereigenschaften. Gekennzeichnet war der Antisemitismus von einer hemmungslosen Hetze gegen demokratische und linke Politiker der als "verjudet" geltenden Weimarer Republik.

Die jüdische Bevölkerung hatte im Krieg ebenso viele Gefallene zu beklagen, wie es in vergleichbaren sozialen Schichten der christlichen Konfessionen der Fall war. Ab Herbst 1918 erschienen jedoch zahlreiche deutsch-völkische Flugblätter, in denen behauptet wurde, die Juden hätten sich während des Kriegs um den Kampf an der Front gedrückt und sich statt dessen durch allerlei dubiose Geschäfte schamlos bereichert. An der Legende, die Juden trügen eine Hauptschuld an der Niederlage der "im Feld unbesiegten kaiserlichen Armee", wurde mit der Dolchstoßlegende auch in späteren Jahren weiter gestrickt.

Mit Auflistungen jüdischer Kriegsteilnehmer und Empfängern hoher militärischer Auszeichnungen versuchte der im Februar 1919 gegründete "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" zumeist vergeblich, den manipulativen Vorwürfen der "jüdischen Drückebergerei" entgegenzutreten. Die tiefgreifende Umbruchphase nach dem Krieg begünstigte vielmehr Vorstellungen des einflußreichen Alldeutschen Verbands, der nach eigenen Angaben Juden als "Blitzableiter für alles Unrecht" zu benutzen gedachte. Antisemitische und völkische Gruppierungen wie die Thule-Gesellschaft oder der "Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund" mit über 200.000 Mitgliedern nahmen nach dem Ersten Weltkrieg an Zahl und Mitgliederstärke rasch zu.

Vor allem aus dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum rekrutierten antisemitische Organisationen ihre Mitglieder und Anhänger. Die Angst vor vermeintlich überlegener jüdischer Konkurrenz verfestigte besonders bei Kleinhändlern, Ärzten und Anwälten eine intensive Judenfeindschaft. Ihrem Haß gegen die Weimarer "Judenrepublik" ließen sie freien Lauf. So wird die einst stolze und kämpferische Germania als willfährige Person dargestellt, der es gleich ist, was um sie herum geschieht. Sie nimmt die Fesseln des Versailler Vertrags ebensowenig wahr wie das zerbrochene Schwert und die am Boden liegende Krone. Unbeachtet von ihr reibt sich der den westlichen Kapitalismus darstellende assimilierte Jude zufrieden die Hände, während sich die durch Bart und Hut als Ostjude erkennbare Figur bereichert. Auf zahlreichen Bildern als "Schieber" und "Kriegsgewinnler" karikiert, waren vor allem ostjüdische Zuwanderer in den ersten Nachkriegsjahren Objekte antisemitischer Propaganda in Deutschland und Österreich. In ihrem fremdartigen Erscheinungsbild entsprachen die orthodoxen osteuropäischen Juden weitaus mehr dem traditionellen jüdischen Klischeebild als die größtenteils assimilierten deutschen. Nach Kriegsende gehörte es zu den gängigen Forderungen nationaler Kreise, die Einwanderung weiterer Ostjuden nach Deutschland zu verhindern, da sie gleichermßen für die wirtschaftliche Not und die revolutionären Erschütterungen verantwortlich gemacht wurden.

Für die rechte Agitation war es nach Kriegsende nicht schwer, mit Rosa Luxemburg und Karl Radek ostjüdische Revolutionäre als "Sendboten des jüdischen Bolschewismus" vorzuweisen, die "dauernd die Massen zum Klassenkampf und Bürgerkrieg" aufriefen. Die Juden galten als Trägergruppe revolutionärer Unruhen schlechthin. Unterstützung fand die verbreitete These einer jüdisch-bolschewistischen Revolution in ihrem Erscheinungsbild stark jüdisch geprägten Münchner Räterepublik. Auch die Weimarer Republik galt als von Grund auf jüdisch. Ihre führenden Repräsentanten wurden als "jüdische Novemberverbrecher" diffamiert, die dem internationalem Judentum und dem westlichen Kapitalismus in die Hände spielten. Ein Opfer solcher Propaganda wurde im August 1921 der katholische "Judengenosse" Matthias Erzberger, der als Unterzeichner des Waffenstillstands am 11. November 1918 wie kaum ein zweiter Politiker gehaßt wurde. Geradezu als Provokation und nationale Schmach empfanden viele Deutsche die Einsetzung des ersten jüdischen Reichsaußenministers Walther Rathenau im Februar 1922. Dem vielgesungenen Vers "Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau" ließ die rechtsextreme Organisation Consul (OC) mit der Ermordung Rathenaus im Sommer 1922 Taten folgen. Der jüdische Sozialist Maximilian Harden, Herausgeber der politischen Wochenzeitschrift "Die Zukunft", überlebte kurze Zeit später schwerverletzt ein Attentat.

Gelenkt wurden die antisemitischen Aktivitäten von "vaterländischen" Politikern, die mit den demokratischen Reformen vom Herbst 1918 einen Teil ihrer Privilegien verloren hatten und nun im Kampf gegen Republik und Demokratie bedenkenlos antisemitische Vorurteile schürten. So verpflichtete ein 1920 im Parteiprogramm neu aufgenommener Passus die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) zum Kampf gegen die "Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit". In München ging im Februar 1920 aus der völkisch-antisemitischen Deutschen Arbeiterpartei (DAP) die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hervor, dessen "Führer" Adolf Hitler von einem rohen Sozialdarwinismus und einem rassistischen Weltbild geprägt war.

Gegen den grassierenden Antisemitismus, wie ihn beispielsweise auch Dietrich Eckart in seiner Wochenschrift "Auf gut deutsch" verbreitete, wurde von Regierungsseite zu wenig getan. Immer wieder wurden zur Niederschlagung linker Aufstandsversuche Freikorps eingesetzt, die sich offen zum Antisemitismus bekannten. Bei der Abwehr von Antisemitismus waren die jüdischen Organisationen wie der "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" oder der überkonfessionelle "Verein zur Abwehr des Antisemitismus" weitgehend auf sich selbst gestellt. Der Vorsitz des "Vereins zur Abwehr des Antisemitismus" fiel 1921 mit Georg Gothein auf einen führenden Politiker der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Von nationalen Politikern als "Judenpartei" verhetzt, trat die von vielen Juden gewählte und vertretene DDP als nahezu einzige Partei in Deutschland dem Antisemitismus entschieden entgegen.

Projüdische Verbände oder Zeitungen wie die "Freie Meinung", deren Leitartikel in scharfer Form antisemitische Tendenzen angriffen, stießen in der Weimarer Republik auf wenig Resonanz. Eine antisemitische Publizistik ergoß sich in Form von mehreren hundert Zeitschriften, Broschüren und Büchern über das Deutsche Reich. Mit Inbrunst beteiligte sich der 1923 von Julius Streicher gegründete "Stürmer" an judenfeindlichen Kampagnen. Hohe Auflagen erreichte das antisemitische Hetzblatt vorzugweise durch Skandalgeschichten mit sexuellem Hintergrund. In nahezu jeder Ausgabe berichtete die Wochenzeitschrift ausführlich über Vergewaltigungen, Mädchenhandel und andere Verbrechen, die Juden angelastet wurden.

Vor allem das "verjudete Berlin", in dem etwa ein Drittel der Juden in Deutschland lebten, galt als "Pestbeule des Reiches", wo eine avantgardistische Kunst und Kultur blühte, die von der konservativen Kultur- und Modernitätskritik als undeutsch, dekadent und "typisches Judenprodukt" bewertet wurde. Größte Aufmerksamkeit erregte dabei vor allem der "zersetzende Intellektualismus" jüdischer Schriftsteller wie Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Erich Mühsam, Ernst Toller und Alfred Döblin. Verdammt wurden jüdische Maler wie Max Liebermann und John Heartfield oder Regisseure wie Max Reinhardt und Ernst Lubitsch. Als Maßnahme gegen die als "entartet" angeprangerten Kulturbeiträge gründete der Nationalsozialist Alfred Rosenberg, der sich zu Beginn der 20er Jahre mit den antisemitischen Schriften "Die Spur der Juden im Wandel der Zeit" und "Das Verbrechen der Freimaurer" einen Ruf in der völkischen Szene erworben hatte, 1929 den "Kampfbund für deutsche Kultur".

Durch Vermittlung von Alfred Rosenberg und Dietrich Eckart hatte Adolf Hitler zu Beginn seiner politischen Laufbahn die bedeutendsten Schriften rassistisch-antisemitischer Literatur wie "Die Sünde wider das Blut" von Artur Dinter (1876-1948) kennengelernt. Mit pornographischem Einschlag beschrieb der 1917 erschienene Roman die abnormale Sexualität eines Juden, des systematisch "unberührte blonde Jungfrauen" schwängerte. Die populäre Hetzschrift Dinters trug bei Teilen der deutschen Bevölkerung entschieden zur Vertiefung antisemitischer Angstvorstellungen vor "Bastardisierung" und systematischer Zersetzung der "arischen Rasse" bei. Die Legende der jüdischen Weltverschwörung verbreiteten die "Protokolle der Weisen von Zion" wie keine zweite Schrift. Die ersten 120.000 Exemplare waren 1919 binnen kurzer Zeit vergriffen. Bis 1933 erschien die Schrift - gefälschte Versammlungsprotokolle von jüdischen Kongressen über angebliche Pläne zur Eroberung der Weltherrschaft - in 33 Auflagen. Durch die hohe Zahl von Ausgaben auch in zahlreichen anderen Ländern wurden die Protokolle zu einer der weitverbreitetsten und einflußreichsten Schrift des modernen Antisemitismus.

Die Kernaussagen der "Protokolle der Weisen von Zion" und "Die Sünde wider das Blut" verarbeitete Hitler 1924 ausführlich in "Mein Kampf". Er systematisierte darin seine Theorien von Antibolschewismus, Sozialdarwinismus und vom "Lebensraum". Den Kampf gegen die "jüdische Weltdiktatur" stellte Hitler in das Zentrum seiner politischen Mission. Seine Vorstellungen von der Bekämpfung der Juden, die er als "Maden im faulenden Leibe", "Pestilenz" und "Blutegel" titulierte, griff Hitler in radikalisierter Form im Ende 1926 erschienenen zweiten Band von "Mein Kampf" auf.

In der Parteipropaganda und auf Wahlkundgebungen der NSDAP spielte der Antisemitismus zu Beginn der 30er Jahre hingegen kaum eine Rolle. Die ohnehin an judenfeindliche Parolen gewöhnten Wähler suchten in Zeiten der Präsidialkabinette, der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit vielmehr Auswege aus der politischen und ökonomischen Krise. Im Schatten der Zunahme politischen Straßengewalt häuften sich ab 1930 aber die Übergriffe der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) auf jüdische Geschäfte und Bürger. Am Abend des jüdischen Neujahrsfests kam es am 12. September 1931 auf dem Berliner Kurfürstendamm zu schweren antisemitischen Krawallen. Laut Polizeibericht waren es an die 500 SA-Leute, die unter Sprechchören "Deutschland erwache - Juda verrecke" Gewalt gegen zufällig angetroffene Juden oder jüdisch aussehende Passanten verübten. Kampagnen gegen dieses Gewaltniveau verhallten zumeist ergebnislos. Zwar hatte sich bereits im Vorfeld der Reichstagswahl vom 14. September 1930 die "Liga für Menschenrechte" herausgefordert gefühlt, einen von zahlreichen Künstlern, Schriftstellern und Politikern unterzeichneten Aufruf gegen die "Kulturschande des Antisemitismus" zu organisieren. In einer nicht abreißenden Kette wechselseitiger und häufig tödlich endender Überfälle von SA und Rotem Frontkämpferbund (RFB) wurde judenfeindliche Gewalt von der Öffentlichkeit allerdings als bloße Randerscheinung wahrgenommen. Auch eine Serie nationalsozialistischer Terroranschläge gegen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen änderte daran wenig. Für die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich waren diese antisemitischen Gewaltakte hingegen der Auftakt für jene Verbrechen und Diskriminierungen, die sie schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten durch das NS-Regime erfahren mußten.

 

"In seiner Fernsehrede, die er am 27.7.1967 nach den Negerunruhen in Detroit hielt, meinte Präsident Johnson: ‚Es gibt kein amerikanisches Recht, Gebäude in Brand zu stecken und von Hausdächern zu schießen. Das sind Verbrechen.' - Er hätte hinzufügen müssen: ‚es sei denn, Amerikaner täten das auf meine Anweisung in fremden Ländern. Dann sind nämlich umgekehrt diejenigen, die sich weigern, Gebäude in Brand zu stecken und von Hausdächern zu schießen, ‚Verbrecher'." (Günther Anders, der amerikanische Krieg in Vietnam oder Philosophisches Wörterbuch heute, Das Argument 87, Dezember 1967, S. 385.)

Dass es im Kritischen Kreis nach den Anschlägen am 11. September zum Crash gekommen ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Aus den folgenden Ausführungen sollte klar werden, warum eine weitere organisatorische Zusammenarbeit weder möglich noch wünschenswert erschien. Nachdem die Kommandoerklärung der Bahamas, worin ausdrücklich Militärschläge gegen Afghanistan eingefordert wurden (vgl. Bahamas 36: "Hinter dem Ruf nach dem Frieden verschanzen sich die Mörder!"),nicht mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen wurde,mussten wir uns leider von einem Teil der Redaktion trennen.

Wer seine antideutsche Sekte machen will, soll sie machen. Sie ist allerdings nicht unter einem gemeinsamen Dach der Streifzüge zu machen. Unser Koordinatensystem hat sich so weit auseinander entwickelt, dass von einer gemeinsamen Initiative nicht mehr gesprochen werden kann. Da die Antideutschen auf Granaten umgestiegen sind, war es Zeit zu handeln, und weniger zu verhandeln. Die Konsequenzen war zu ziehen. Und sie wurde mit aller Deutlichkeit gezogen.

Dass dieser Artikel eine Schärfe angenommen hat, vor der wir uns in den letzten Jahren, innerlinke Debatten betreffend, eigentlich fern halten wollten, erklärt sich aus der Sache. Die Deutlichkeit verlangt nach äusserster Pointierung und Polemik. Der Einwand, dass wir diesen gravierenden Konflikt zu lange unter den Teppich gekehrt haben, den müssen wir gewiss zulassen. Da wurde einiges übergangen, überspielt oder als nachrangig abgetan, was sich in Folge als unvereinbar offenbarte. So gesehen ist das Projekt einer engeren und gedeihlichen Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Antideutschen als endgültig gescheitert zu betrachten und Schadensbegrenzung angesagt.Wenn uns also vorgeworfen wird, dass wir dem andideutschen Treiben zu lange zugeschaut haben, dann gibt es darauf nur eine Antwort: Ja!

Worauf dieser Beitrag ausdrücklich keinen Bezug nimmt, das ist die Unterscheidung in Hardcore- und Softcore-Antideutsche. Ehrlich gesagt, die will uns nicht einleuchten. Deren Gemeinsamkeit ist größer als deren Differenz: Die Betonung des Deutschen/Nichtdeutschen als grundsätzlicher Konflikt,vor dem alles andere erblasst, ebenso wie der religiös gewordene Bezug auf Israel und (negativ gewendet) auf den Antisemitismus. Die Muster der Betrachtung sind da zu ähnlich, die Differenzen erscheinen eher auf einer taktischen Ebene angesiedelt oder gar im Temperament. Softcore drängt wie Hardcore zum selben Resultat, nur traut sie sich es nicht zu. Das ist übrigens genau das, was die Speerspitze des antideutschen Bellizismus, die Bahamas, am deutlichsten begriffen haben, sodass es ihnen spielend gelingt,alle gemäßigten Geschwister in Geiselhaft zu halten.

Fraglose Gebote?

In seinem Beitrag "Das Böse ist nicht das Böse" (Jungle World 41/2001) schreibt Gerhard Scheit: "Die Frage stellt sich allerdings,in welcher Form heute auf bewusste und wirkungsvolle Weise Partei zu ergreifen überhaupt möglich ist. Der Schutz potenzieller Opfer des antisemitischen Terrors ist fraglos das oberste Kriterium. Ihm Rechnung zu tragen und sich dabei an linken Stammtischen in Entscheidungsgremien der USA hineinzuversetzen, um über sinnvolles politisches und militärisches Eingreifen nachzudenken, entspricht der realen Paradoxie, ein Linker in Deutschland, in Europa, zu sein."

Fraglos? Oberstes Gebot? Zu einem fraglos obersten Gebot kann man nur gelangen, indem man die Sonderstellung verabsolutiert, sie als entscheidendes,ja einziges Kriterium der Beurteilung zulässt. Die Behauptung der Nazis vom "ewigen Juden" wird hier als inverse Annahme weiterverfolgt,zeitlich und räumlich universalisiert. Gerhard Scheit fühlt sich zwar sichtbar unwohl in der Rolle, aber er nimmt sie, da er in seiner Logik gar nicht mehr anders kann, an. Jetzt gilt es also über "sinnvolles politisches und militärisches Eingreifen nachzudenken".Das ist bestenfalls weißer Zynismus, denn nur ein solcher kann potenzielle Opfer über tatsächliche setzen, den Konjunktiv über den Indikativ. In seinem "Was sein könnte" ist das "Was ist" ziemlich nebensächlich. D.h. es ist hochgradig projektiv, sieht vor lauter Antisemitismus die Welt nicht mehr oder diese bloß als antisemitisches Pogrom im Anfangsstadium.Die Projektion wird da höher gewichtet als die Wirklichkeit. Tatsachenresistenz ist ihr Kennzeichen.Wie wir noch sehen werden, ist das überhaupt ein Wesenszug antideutscher Weltbetrachtung.

Es gibt also keine Fraglosigkeit,sondern Fragen, es gibt da keine Gebote,sondern sorgfältige Abwägungen.Gerhard Scheit hingegen betreibt eine Simplifizierung der Welt.Auch sollte man nicht jeden logischen Widerspruch gleich zur Paradoxie adeln.Manchmal verheddert man sich bloß in widersprüchliche Konstruktionen, die dann zu solch abstrusen Folgerungen führen. Die Immunisierung bedient sich einer besonderer Aura."Das gemeingefährliche Auslöschen jeder Differenz", das Tobias Ofenbauer uns in seinem Abschiedsbeitrag unterstellt, das retournieren wir postwendend.

Postpolitische Ereignisse dieser Dimension mit Politik und Polizei, Medien und Militär bekämpfen zu wollen,ist nicht paradox,sondern nur noch grotesk. Egal, was Politik hier tun kann, es kann nur noch falsch sein. Eingreifen und Nichteingreifen bewirkt unter Umständen wirklich ähnliche Destruktionen.Anstatt nun nachzudenken, wie man sich in dieser Situation auch praktisch verhalten könnte, schlägt man sich ganz praktisch auf die Seite seiner Herrschaft. Das Hohelied der Nichtpraxis, dem unsere Antideutschen so inbrünstig huldigten, entpuppt sich plötzlich als Hilfspraktikantentum des Abendlands. Aufgestellt wird ein ideelles Ersatzheer der Aufklärung. Kritik aber wird sistiert.

Zumindest kann man Gerhard Scheit nicht wie er mir vorwerfen,dass er sich " ein Gelände, wo man von der Anwesenheit des Staats nichts merkt" (Streifzüge 1/2001) ausgesucht hat. Es ist der Staat pur,mit dem er und andere fraternisieren. So ist der "reine Wille,der sich auf Freiheit beruft und sich Kritik nennt"(ebenda), ohne Not beim Staat gelandet.

Amerikanische Patrioten

Was den Antiimperialisten meistens sogar zu Unrecht unterstellt wird, dass sie nämlich Partei für die Terroristen ergreifen, das tun die Antideutschen mit größter Offenheit und ohne Genierer für die USA. Ja, schnurstracks sind sie selbst mit Deutschland und Europa in einem Boot,wenngleich sie dann permanent schreien werden, dass Deutschland auf der falschen Seite kämpfe. Niemanden wird's kümmern.

Schon die Bereitwilligkeit, sich den amerikanischen Kopf zu zerbrechen,zeugt davon,dass sich der Patriotismus der antideutschen Linken eben nur ausgelagert hat. Die Antinationalisten kommen jetzt als "american patriots" daher.Die Exterritiorialisierung des amerikanischen Patriotismus durch Teile der radikalen Linken als Importarktikel ist ein deutscher Sonderweg sondergleichen: Wenn wir nach 1945 keine deutschen Patrioten sein dürfen, dann lasst uns zumindest amerikanische Patrioten werden.Der Patriotismus ist also den Antideutschen nicht vergangen, er hat sich nur vergangen.Als negativer Nationalismus hat er sein Positivum in Israel und den USA gefunden. Nun darf er realpolitisch sein. Endlich gibt es was, woran man sich festhalten kann.Aber so ist das halt mit der reinen Negation,sie muss sich irgendwo anhängen, will sie nicht ins Nichts fallen.

Wo es noch keine emanzipatorische Praxis der Antipolitik gibt, ist die Flucht in Politik und Militär naheliegend, wenn auch nicht zielführend. An den Grenzen aller bisheriger Erkenntnisse angekommen, läuft die Kritik selbst Gefahr, an den Verhältnissen irre zu werden. Genau das dürfte jetzt einem Teil passieren. Dialektik wird durch negative Ontologie ersetzt. Und da der Voluntarismus der großen Abschaffung weder greift noch begreift,muss nun die Voraussetzung der Abschaffung des Kapitals, das Kapital selbst, in den Metropolen mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Ausser in Deutschland und Österreich, denn da herrscht ja sowieso ein deutsch-islamistischer Faschismus, und nur die Amerikaner und Westeuropäer verhindern, dass er sich auch als solcher betätigt. Es ist platter als man denkt.Bomben auf Berlin und Hamburg wären logischerweise einzufordern, bei den vielen deutsch-mulimischen Schläfern, die es da gibt.

Jeder Einwand gegen die Verwertungslogik, der nicht gleich Revolution sagt,wäre demnach zu bekämpfen. Das ist freilich strategisch blanker Unsinn, der jede Vermittlung negiert, und Emanzipation nur noch als unmittelbare Tat begreifen kann, die alsdann von den fetischistischen und volksgemeinschaftlichen Subjekten partout nicht in Angriff genommen wird. Es ist kein Zufall, dass solche Ohnmacht sich in zugespitzen Zeiten ins ideelle Attentat hineinsteigern muss. (Vgl. dazu auch Franz Schandl, Präpotenz der Ohnmacht, Streifzüge 4/2000.) Wenn man das alles ernst nimmt, dann ist aber jede antikapitalistische Perpektive überhaupt verstellt,nicht mehr als eine vielleicht sympathische Geste oder Pose.Was sich zeigt,ist ein platonischer,aber aufgekratzter und rabiater Antikapitalismus,der sich zwar einiges auf sich einbildet, sich furchtbar radikal geriert und immerzu von der Totalität spricht, aber im konkreten Fragen sich lautstark dem (fortgeschrittenen) Kapital verschreibt.

Marodierende Kapitalsplitter

Kritik erledigt sich also nicht, indem man sich der angebotenen Varianten erwehrt, sondern sie erledigt sich, wenn man sich ihnen unterwirft. Natürlich gibt es keine Position außerhalb der Totalität, aber es doch ein Unterschied, ob man sich dem Zwang der Rolle ohne Not ergibt, oder ob man versucht, sich von der okzidentalen Zwangsvereidigung abzusetzen. Wofür Scheit plädiert, ist entschiedene Parteinahme in einem immanenten Konflikt, inklusive Bestätigung des Codes Zivilisation gegen Terrorismus. Im Prinzip ist seine Haltung der der Bahamas- Redaktion eng verwandt. Die Antideutschen haben sich aufgrund eines konkreten Anlasses entschieden,Flankenschutz zu geben.Ideell alle, reell viele.

Es gibt heute keinen besonderen deutschen Standpunkt, der ausserhalb des westlichen Wertekanons festgemacht werden kann.Weder in Deutschland, noch anderswo.Was es gibt, ist die (kaum noch national codierte) Konkurrenz der Standorte und ein Gerangel der Staatsapparate um Gewicht in der okzidentalen Phalanx. Hier einen Gegensatz ums Ganze aufzumachen, liegt ums Ganze falsch. Auch das ist Geschichte, die aber in den Köpfen der Antideutschen niemals vergehen will. Sie sind wie die Sudetendeutschen, befangen in den Wunsch- und Trugbildern einer untergegangenen Welt.Deren Nachwirkungen begreifen sie als Neuauflagen.

Doch die Antideutschen lassen das Beten nicht: "Der Vernichtungswahn der heutigen Selbstmordattentäter ist die Säkularisierung der islamischen Religion unter dem Gesichtspunkt von Auschwitz." (Scheit) Warum, hätte man natürlich schon gerne gewusst, sonst ist das die reine Anrufung, an die man glauben kann oder auch nicht. Die Wahrsagerei über die Motivationslage der Attentäter sollte man besser den Geheimdiensten und der Kulturindustrie überlassen. Die wissen zumindest,was sie lügen.Vergessen wir nicht, es wurden bisher noch nicht einmal stichhaltige Beweise gegen Osama Bin Laden vorgelegt,natürlich aus Geheimhaltungsgründen. Die Zuordnung des Attentas bleibt also fragwürdig,während man die Opfer und Folgeopfer der Bombardements in Afghanistan sehr deutlich zuordnen kann.Sie sind Ergebnis eines Waffengangs.

Die Antideutschen sollten sich vielmehr fragen, wie sie zu ihrer Selbstsicherheit betreffend Beurteilung der Attentate kommen.Uns jedenfalls liegt dieses saloppe Hineinversetzen in die Köpfe der Terroristen ziemlich fern. Die Leichtigkeit des So-und-nicht-anders überlassen wir gerne den anderen.Was wir wissen, ist dürftig. Bin Laden und Konsorten erscheinen uns eher als marodierende Kapitalsplitter, die auf ihren großen Bruder, das marode Kapital zurückschlagen. Ein mafiotischer Gewaltpol macht mobil gegen das Gewaltmonopol des Westens in Form seiner stärksten Macht, der USA.

Dass es dafür Sympathien gibt, ist evident, zeugt jedoch nur davon, in welch verzweifelte Lage viele Gemüter sich auf diesem Planeten versetzt sehen. Dort,wo die Freude nicht statthaben kann, steht Schadenfreude auf der Tagesordnung. Die Verkommenheit - und es ist eine! - darf allerdings nicht aus ihrer Gekommenheit ausgelöst werden.Wer nun meint, das sei eine Rationalisierung, der hat gewiß recht. Genau das.Wer jetzt noch Erklärung als Rechtfertigung liest, hat überhaupt alles verstanden, was in der antideutschen "Grundlektion gegen pathisches Rationalisieren" als Teufel an die Wand gemalt wurde.Wer so denkt,muss zweifelsfrei einen ausgesprochen positiven Rationalitätsbegriff haben. (Zum Komplex Vernunft-Rationalität-Irrationalismus- Aufklärung sind übrigens unsererseits einige Beiträge in Vorbereitung.)

Ingredenzien des Terrors

Es sind weder "die Verdammten dieser Erde", noch irgendein "berechtigter Antikapitalismus", noch der "antisemitische Vernichtungswahn", die hier zugeschlagen haben, selbst wenn diese Ingredenzien als ideologische Versatzstücke der Terrorattacken eine erst näher zu bestimmende Rolle spielten. Der Eindeutigkeiten sind weniger als wir meinen,und man sollte sich vor ihnen hüten. Da konstruiert sich kein einheitlicher Wille, auch kein Vernichtungswille.Ob da noch Kalkül am Werk ist (und wenn ja,welches),mag bezweifelt, kann aber nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden. Selbst dass da niemand verhandeln will,ist nicht entschieden.Entschieden ist bloß,dass zur Zeit nicht verhandelt wird. Wenigstens nicht für die Öffentlichkeit.Wir befinden uns also allesamt im Reich der Vermutung. Die Verlaufsform der aktuellen Barbarisierung kann jedoch nicht mit dem schon seit dem Kalten Krieg antiquierten Koordinatensystem aus dem Zweiten Weltkrieg adäquat erfasst werden kann.Im Gegenteil,es verstellt jede Analyse und Perspektive.

Wenn Anton Landgraf meint, die Terroristen seien schlimmer als das Kapital, dann ist ihm zu entgegen, dass nichts schlimmer ist als das Kapital, und dass diese Herrschaften nichts anderes ausdrücken als die destruktive Seite seines Zerfalls. Die hat nun die Ruhe in der Ersten Welt gestört: Denn Krieg hat hier nichts zu suchen, von hier geht er höchstens aus. Selbstverständ- lich sind die Attentäter keine fehlgeleiteten Heroen,sondern durchgeknallte Charaktermasken, Ausgeburten wahnwitziger Realitäten. Objektivität übersetzt sich in Subjektivität, um die Destruktion zu beschleunigen.

Der Islamismus ist rigoros abzulehnen.Mit ihm gibt es kein Bündnis, nicht einmal ein partielles. Der Fetisch Religion und vor allem all seine Zuspitzungen sind ein Hindernis der Emanzipation.Wenn sie in Zeiten der Krise noch einmal aufblühen, dann kann sich die Menschheit auf einiges gefasst machen. Und doch:Wer sie niederbombt,munitioniert sie auf! Das christliche Abendland mit seinem Gottvater namens WERT ist übrigens integraler Bestandteil dieses Szenarios.Es gibt kein Innen und kein Außen mehr.Auch sagt die Form des Wahnsinns letztlich wenig über die Intensität der Verrücktheit.

Wo Gelassenheit im Denken gefragt wäre, erobert die Pathologie des Daseins Region um Region,Sektor um Sektor.Der Amoklauf ist die Folge, auch der geistige.Auf den Bahamas etwa mischen sich wirklich apathische und pathische Elemente der Wahrnehmung. Nur so kann jedenfalls ihr Geschrei, die Afghanen doch "mit allen Konsequenzen dem kapitalistischen Warenfetisch direkt zu unterwerfen" (Bahamas 36),verstanden werden.Das ist nichts anderes als eine zu spät gekommene Kolonialphantasie. Oder wollen die Zu-Spätaufklärer dort Fabriken gründen, die am Weltmarkt bestehen können? Oder gar florierende Aktienbören, damit die Bin-Laden-Bande auch zu Hause spekulieren kann? Wie soll denn diese Diktatur des Werts ohne Verwertung ausschauen? Ist nicht gerade Afghanistan bereits ein Musterbeispiel dieser unmöglichen Möglichkeit menschlicher Existenz?

Personal und Personifizierung

Gerhard Scheit schreibt:"Wer in den Juden oder in Israel das Kapital personifiziert sieht, ist Antisemit. Wer im Weltpolizisten USA das Kapital verkörpert sieht, steht - ausgesprochen oder unausgesprochen - auf deutschen Standpunkt. Beides suggeriert die Möglichkeit, mitten im Kapitalismus zugleich jenseits des Kapitalismus zu sein. In dieser Projektion konstituiert sich Volksgemeinschaft: ein "Subjekt", das die Krise dessen exekutiert,was in Wahrheit nicht verkörpert werden kann." (Jungle World 41/2001)

Da geht einiges durcheinander.Verkörperung, Personifizierung und Zuordnung sind nicht eins.Was sich nicht verkörpern kann, ist lediglich das Wesen des Kapitals, es kann nur durch Reflexion bestimmt werden;was sich aber permanent verkörpert, das sind dessen Erscheinungen, d.h. das Unwesen des Kapitals.Was soll ein Staat anderes sein als eine Verkörperung des Kapitals? Und was soll ausgerechnet die USA sonst sein? Zweifellos, die USA sind eine, aber nicht dieVerkörperung des Kapitals. Kann letztere mit dem Antisemitismus kurzgeschlossen (wenn auch nicht gleichgesetzt) werden, so ist ersteres kaum abzustreiten.Scheit verwischt dies aber, und man ist nicht sicher, ob dies nicht absichtlich geschieht.Warum das nun gar ein "deutscher Standpunkt" sein soll, ist da völlig unklar.Aber dunkel bleibt hier sowieso vieles... Wer gegen die Kapitalisten ist, ist noch lange nicht gegen das Kapital. Aber:Wer gegen das Kapital ist,kann ihr Personal,also Unternehmer, Arbeiter, Spekulanten, Bauern, Beamte, Intelligenzler, Politiker, Künstler nicht aus der Kritik aussparen. Die Frage ist, wie Analyse bewerkstelligt und wie das Verhältnis von Spezialität und Totalität gewichtet wird, ohne dass sie zu partikularen Selbstläufern geraten.Genau das meinte aber ein Jenseits von Interessenspolitik, ja Politik überhaupt. Das Gerede über oder gar die Hetze gegen irgendeine Gruppe demonstriert letztlich nichts anderes als die eigene Beschränktheit.

Transvolution heisst nicht Befreiung des Interesses, sondern Befreiung vom Interesse. Transvolution demonstriert "Interesse" gegen letztlich konformistische und destruktive Partialinteressen. Transvolution bedeutet also nicht die Durchsetzung eines Teils zugunsten anderer Teile, schon gar keine endgültige.

Die letzte Pflicht des bürgerlichen Subjekts wäre demgemäß die Pflicht gegen die Pflicht, frei nach Kant (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten,Werkausgabe Band VII, Frankfurt am Main 1991, S. 26) die Notwendigkeit des kategorischen Widerstands gegen die Verpflichtung des Menschen auf seinen bürgerlichen Ablauf. Die allgemeine und besondere Entpflichtung ist die Bedingung emanzipatorischer Handlungen und Möglichkeiten. Ein Programm der Entpflichtungen wäre somit die Vorstufe der freien Assoziation. Das bedeutet Mobilisierung der Individuen gegen die Dividuen, der Menschen gegen die Charaktermasken.Da geht es nämlich nicht gegen irgendwelche andere, sondern gegen sich selbst: ich gegen mich,wir gegen uns. Das Identische erkennt das Nichtidentische. Vice versa. Sich selbst anzugreifen, ist auch die beste Voraussetzung, dass die anderen adäquat angegriffen werden, weder Halt- noch Maßlosigkeit die entscheidenden Konflikte bestimmen. In äusserst negativer Form der Selbstzerstörung greift diese Dekomposition des Subjekts ja schon um sich, nicht nur im Selbstmordattentat. Gerade jene wäre zu wenden.

Subjekt und Verantwortung

Jedes Verhältnis ist ein Verhältnis von Personen. Wie das Personal des Kapitals, die unterschiedlichen Charaktermasken nicht aus der Kritik ausgenommen werden dürfen,das wäre wirklich Objektivismus der übelsten Sorte - niemand kann für nichts!; so darf dem Personal letztendlich auch nicht die individuelle Verantwortung für sein Tun und Handeln zugeschoben werden, das wäre Subjektivismus,der die Verhältnisse mit ihren Trägern, die immer auch Erträger sind, gleichsetzt. Die Menschen sind die Verhältnisse, aber die Verhältnisse sind mehr als die Menschen, sie sind ihnen entwachsen (in doppeltem Wortsinne) und aufgeherrscht,obwohl wiederum nur die Menschen dieses über sie Hinausreichende, Verselbstständigte überwinden können.Menschen sind nicht auf die verdinglichten Eigenschaften des Werts zu reduzieren, Individuum meint etwas anderes als das Subjekt, selbst wenn jenes nur in Spurenelementen vorhanden ist und täglich durchgestrichen wird. Der Wert geht in den menschlichen Kommunikationen auf, aber das eine ist nicht das andere.

Die Charaktermasken der zweiten Natur,die fetischistischen Subjekte sind als unterwerfende Unterworfene und als sich-unterwerfende Unterworfene zu dechiffrieren.Wir haben es mit einer bewusstlosen Bewusstheit zu tun.Bürgerliche Subjekte können so einerseits nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, aber sie sollen nicht auf diese reduziert werden. Das Subjekt ist Leidtragender und Leidbringer in einem, wenngleich die Akzentsetzungen von Exemplar zu Exemplar differenziert werden können.

Das Problem der Personalisierung ist nicht so simpel, wie vielfach getan wird.Namentlich die Antideutschen agieren hier ausgesprochen doppelbödig. Während sie das Kapital stets anonymisieren, personifizieren sie Deutsche,Antisemiten und andere Nazis ohne Schwierigkeit. Dass gerade jene, die permanent von den Deutschen reden,sich strikt dagegen wehren,von den Amerikanern zu sprechen,ist da ganz selbstverständlich. Die Pointe wäre demnach: Die Deutschen verkörpern die Volksgemeinschaft,die Amerikaner verkörpern aber nicht den Kapitalismus.Der Kapitalist kennt keinen Namen und keine Anschrift. Der Antisemit aber sehr wohl. Ist das Kapital nur total zu bekämpfen,so der Antisemit auch partiell. Das ist eine Logik, die je nach Interesse auf- und abblendet, ihr funktionaler Wert für das Antideutsche dürfte aber klar sein. Sie endet so im bedingungslosen Exkludieren und Konstatieren. Ihr Mittel ist das Dekret. Ihre Sprache der Jargon.An diesem wie jenem erkennen sie sich wieder.

Die Frage, die sich im Zusammenhang mit Schuld und Unschuld, Beschuldigung und Entschuldiung immer wieder stellt, lautet: Wie zurechnungsfähig ist der Mensch? Aber auch: Folgt aus der Nichtzurechnungsfähigkeit gleich eine Entlastung? Folgt aus der Zurechnungsfähigkeit eine Belastung? Und wenn ja oder nein: wieviel und wie wenig. Man sieht, es ist alles nicht so einfach, wie es uns die antiteutonischen Metaphysiker suggerieren. Ihre Kultstätten beschwören den ewigen Täter und verehren das reine Opfer, ohne da auch nur eine Sekunde wahrnehmen zu wollen,wie degradierend letzteres etwa für die Juden ist. Die Rolle, die ihnen die Nazis aufokroyierten,aus der wollen die Antideutschen sie akkurat nicht entlassen. Der Erfolg der deutschen Ideologie lässt sich daran messen, was er in antideutschen Köpfen hinterlassen hat.

Entschuldigung wie Beschuldigung sind jedenfalls fragile juristische Hilfsbegriffe mit letztlich wenig Erkenntnisleistung. Niemand darf sich auf seine Pflicht rausreden, so manifest die auch sein mag. Hätte Eichmann gesagt, der Kapitalismus sei schuld gewesen, dass er so geworden ist, dann hätte er recht gehabt.Nur, was folgt draus? Doch nur, dass nach dem Eichmann auch der Kapitalismus abgeschafft werden muss.

Möglichkeit gegen Wirklichkeit

"Tausende gingen auf die Straße,um gegen den Krieg zu protestieren - nicht jedoch gegen die Vernichtungspläne Husseins,sondern gegen den Feldzug der USA", schreibt Anton Landgraf allen Ernstes über den Golfkrieg 2 (Jungle World 40/2001). Er meint das so. Die antijüdischen Tiraden eines Saddam Hussein und einige Scud- Raketen, die in Israel wenig Schaden anrichteten, werden höher gewichtet als die durch tatsächliche Bombardements und reale Boykottmaßnahmen getöteten Menschen im Irak. Sind wohl nur Araber oder Moslems, lauter kleine potentielle Terroristen,Bin Ladens in spe. Also weg damit. Nicht schad um sie. Der Rassismus trieft da wirklich raus. So laufen dann Leute, die keine Rassisten sind, mit rassitischen Denkmustern durch die Welt,die ihnen gar nicht erst auffallen.

Die Erwähnung irakischer oder afghanischer Toter passt jedenfalls nicht ins Bild. Sie wird als Leichenaufzählung abgetan. Indes, die Leichen sind schon zu zählen, bezeugen sie doch, zu welch Opferungen die Gesellschaften d

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